Von Dr. Siegfried Buchholz (deutscher Manager, Chemiker und Autor)
Die ganze Bibel stellt Gott als einen Allmächtigen dar, als den Gott des Überflusses:
Er ist in Person Überfluss an Macht, an Kraft, an Wissen, an Liebe und an Barmherzigkeit. Einen schwachen Abglanz des Überflusses Gottes erkennen wir in der uns umgebenden Welt. Unser Planet Erde, unser Sonnensystem und die gesamte Weite des Universums können als Illustration für die Kraftentfaltung Gottes, des Schöpfers, dienen. Wir finden in der Schöpfung:
- Einen Überfluss an Quantität: Das Weltall ist überwältigend gross, mit dem menschlichen Geist nicht erfassbar in seinen unendlichen Dimensionen;
- Einen Überfluss an Qualität: Die Vielzahl der geschaffenen Arten und die ebenso überwältigende Ordnung und Komplexität im Grössten und im Kleinsten können wir auch heute noch nicht begreifen und verstehen;
- Einen Überfluss an Energie: Seit es uns gelungen ist, bestimmte Elementarbausteine zu spalten, wissen wir, welche überwältigenden Energiemengen in der Schöpfung «lagern». Die fossilen Brunnstoffe Kohle, Öl und Gas stellen ja nur einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtenergiegehalt der Schöpfung dar.
Als ein Beispiel für den unvorstellbaren Überfluss der Schöpfung soll die Sonne herangezogen werden. Sie ist das 150 Millionen Kilometer entfernte kosmische «Kernkraftwerk», das uns mit aller Energie versorgt. Mittels gigantischer Energieumwandlungsprozesse, bei denen täglich 345 Milliarden Tonnen Materie in Energie umgewandelt werden, erreicht uns jährlich auf der Erde eine Energiemenge von etwa 174'000 Milliarden Kilowattstunden. Unser gesamter globaler Energiebedarf – der ja mittlerweile riesengross geworden ist – beläuft sich derzeit auf «nur» 7,6 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Mit anderen Worten: Alles, was wir zurzeit in unserer Welt an Energie verheizen, verfahren, umwandeln, ist nur der zwanzigtausendste Teil dessen, was uns die Sonne «frei Haus» liefert – Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und es gibt ungezählte Sonnen im Weltall!
Wenn schon die Schöpfung Gottes eine Überflussschöpfung ist, um wieviel mehr ist dann das Wesen des Schöpfers selbst Überfluss, und zwar Überfluss an Kraft. Die Autoren der Bibel werden nicht müde, gerade diese Erkenntnis immer wieder zu beschreiben. Gott ist (als Person) Kraft; er verfügt über Kraft, er handelt in Kraft und versorgt das von ihm Geschaffene mit Kraft. Das drücken die Dichter der Psalmen auf immer neue Weise aus:
- Der Herr ist meines Lebens Kraft (Psalm 27,1)
- Der Herr ist meine Stärke (Psalm 27,7)
- Der Herr ist meine Macht (Psalm 118,14)
Gleiches sagen die alttestamentlichen Propheten:
- Er (Gott) heisst … Kraft (Jesaja 9,5)
- Herr, du bist meine Stärke und Kraft (Jeremia 16,19)
Als Jesus auftritt, werden auf ihn die gleichen Attribute angewendet. Der Evangelist Lukas beschreibt ihn so:
- Jesus kam … in der Kraft des Geistes (Lukas 4,14)
- Die Kraft des Herrn war mit ihm (Lukas 5,17)
- Ich möchte ihn erkennen und die Kraft seiner Auferstehung (Philipper 3,10)
In welchem Ausmass Gott selbst Ursprung und Herr aller Kraft ist, das wurde im eigentlichen Sinne deutlich, als Gott Mensch wurde und selbst auf die Erde kam. Doch etwas Paradoxes geschah: Jesus, der mit Energie so souverän umging wie sonst niemand, kam in einer Form in die Welt, die wir Menschen als Musterbeispiel von Ohnmacht und Kraftlosigkeit ansehen: als ein neugeborenes Kind. Damit machte er deutlich, dass er eigene Massstäbe von Energie und Kraft und Macht mitbrachte. Sein Umgang mit Materie war «unglaublich»:
- Er verwandelte Wasser in guten Wein, als sei das nichts …
- Er vermehrte Brote und Fische im Handumdrehen tausendfach, als sei das nichts …
Sein Umgang mit Naturenergie war «umwerfend»:
- Er konnte Orkane und Sturmfluten mit wenigen Worten zähmen, als sei das nichts…
Sein Umgang mit Vitalenergie, mit Kranken und Toten, ist beispiellos und kaum zu beschreiben:
- Er heilte Kranke, wann immer er das wollte …
- Er weckte sogar Tote auf.
Und dann seine eigene Auferweckung: Der grösste Energiekraftakt der Geschichte. Den Zerstörer aller Energie, den Machtinhaber des Todes, den Satan, schaltete Gott aus, als er Jesus das neue Leben gab.
Als Jesus dann wieder zurückkehrt zu seinem himmlischen Vater, delegiert er die Vergabe der göttlichen Energie an den Heiligen Geist. Er (als dritte Person Gottes) ist die Energiequelle in Person. Bei seinem Erscheinen an Pfingsten erleben die früheren Begleiter Jesu eine unerwartete Kraftentfaltung: Sie wagten sich aus ihren Verstecken hervor, traten öffentlich in der Hauptstadt Jerusalem auf und bekannten sich freimütig zu dem gekreuzigten Jesus Christus. Angst und Zweifel waren wie weggeblasen. Sie waren an die Energiequelle Gottes angeschlossen worden, hatten seinen Heiligen Geist empfangen und waren voller Kraft und Mut und Freude. Jesus selbst hatte ihnen das schon vorher angekündigt:
- Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen … und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis an die Enden der Erde (Apostelg. 1,8).
Einer, der wenig später die Kraft Gottes erlebte, war der strenggläubige Jude Paulus. Er hatte in seinen früheren Jahren ebenso verbissen wie vergeblich gegen die Kraftwirkungen Jesu Christi angekämpft. Sein Leben änderte sich radikal, als Christus sich ihm in seiner Machtfülle zeigte. Er liess Paulus teilhaben an seiner Kraft. Diese Erfahrung hat der Apostel später mit den Worten weitergegeben:
- Das Evangelium … ist eine Kraft Gottes (Römer 1,16)
- Das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft (1. Korinther 4,20)
Paulus spricht immer wieder
- Von der überschwänglichen Kraft Gottes (2. Korinther 4,7)
- Von der überschwänglichen Grösse seiner Kraft (Epheser 1,19)
In erschütterndem Kontrast zur Fülle der Kraft des Schöpfers steht die moralische Kraftlosigkeit seiner Geschöpfe. Die fatale menschliche Kraftlosigkeit ist kein «Unfall» der Natur, sondern eine klare Konsequenz daraus, dass der Mensch die Beziehung zu seinem Schöpfer von Anfang an ruiniert hat. Doch das Erstaunliche bei den Berichten der Bibel ist: Gott zieht sich keineswegs vom schwachen, sich selbst Kräfte anmassenden Menschen zurück. Gott knüpft aufs Neue ein Verhältnis zum Menschen an und will ihn an seiner Kraft teilhaben lassen. Einige biblische Zitate zeigen das:
- Er gibt … Stärke genug dem Unvermögenden (Jesaja 40,29)
- Was schwach ist … hat Gott erwählt (1. Korinther 1,27)
- Meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung (2. Korinther 12,9)
- Wenn ich schwach bin, dann in ich stark (2. Korinther 12,10)
Schwäche zur Voraussetzung für Kräftigung? Ja, Erst das Eingeständnis der Schwäche, die oft mit Schuld vor Gott zu tun hat, ist die Voraussetzung für die Öffnung der Kanäle göttlicher Kraftzufuhr. Glaube an Gott beginnt mit der Erkenntnis: Ich bin von ihm abhängig. Diese Erkenntnis kann zu zweierlei führen:
- Zur Rebellion, zur Auflehnung gegen den Stärkeren, von dem ich abhängig bin, oder
- Zum Vertrauen gegenüber dem Stärkeren, von dem ich abhängig bin.
Wie können wir dieses Problem richtig angehen? Wir sehen Gott erst dann richtig, wenn wir seine unerschöpfliche Kraft und Macht mit seiner unendlichen Liebe und Barmherzigkeit zusammen sehen. Das Wahrnehmen des göttlichen Übermasses an Energie und Kraft allein kann zu ohnmächtiger Furcht oder auch zu zähneknirschender Auflehnung führen. Denn durch unser menschliches Miteinanderumgehen sind wir gewohnt, Macht und Machtausübung argwöhnisch im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Macht zu sehen. Auf der anderen Seite wird unser Glaube an Gott schnell und naiv ausgehöhlt, wenn wir Gott nur als einen bedingungslos liebenden Gott sehen – der dann natürlich schwach ist. Gott vereint Macht und Liebe miteinander. Seine Kraft kann uns Hoffnung geben; denn «mit unserer Macht ist nichts getan» (Martin Luther).
Ich lebe davon, dass Gott stärker ist als ich selbst und dass er mich liebt in meiner Schwäche. Mein Glaube beruht auf diesen beiden Grundpfeilern: auf Gottes unerschöpflicher Macht und auf Gottes unendlicher Liebe. Einer dieser beiden Pfeiler für sich allein würde meinen Glauben nicht tragen können. Die Einzigartigkeit Gottes wird daran sichtbar, dass er sowohl seine Macht als auch seine Liebe zu meinem Besten einsetzt.