Ein Bericht von
Johannes Barthel
Schon fast haben wir in Europa vergessen, was es heisst, einen Krieg vor der Haustüre zu haben. Noch wenige Stunden vor Kriegsbeginn glaubten die meisten Ukrainer, einschliesslich der potenziellen 200’000 Olim und geschätzten 10'000-15’000 Israelis in der Ukraine nicht daran, dass innerhalb weniger Stunden und Tage ihr Leben nicht mehr dasselbe sein würde.
Der Krieg verursacht unsägliche Trauer.
Unter den Millionen Flüchtlingen sind auch sehr viele Juden, die sich überstürzt Gedanken machen müssen, wo sie ihr Leben weiter führen werden. Für viele ist die Entscheidung jetzt klar: Israel! Dies ist das einzige Land auf der Welt, in welchem sie nicht als Flüchtlinge ankommen, sondern als Familienmitglieder. Jetzt, nach Tausenden Jahren Diaspora, werden sie – wie in Jesaja 16,16 vorhergesagt – durch Jäger aufgeschreckt.
Ebenezer Operation Exodus hat bereits am Tag nach Kriegsbeginn ein erstes Team von sechs Volontären an die polnisch-ukrainische Grenze gesandt.
Der Bericht eines dieser Volontäre ist auf dem folgenden Video zu hören.
Uns war sofort klar: Wir brauchen einen Ort, wo wir die jüdischen Menschen und insbesondere die Olim empfangen, beherbergen und verpflegen können. Es gibt zwar in Warschau grosse Zentren, wo Hunderte Olim hinkommen können, aber nicht alle wissen davon, und vielen ist auch der direkte Weg einfach zu weit nach 3-4 Tagen Flucht und dann oft nochmals 12-20 Stunden bei Minus-Temperaturen an der Grenze. Was die meisten wollen, ist erst mal ein Bett, eine Dusche und eine warme Mahlzeit in einem geschützten Raum ohne Fliegeralarm.
Dieses Hotel ist eine Auffangbasis. Hier können geflohene Juden erst einmal ausschlafen und sich neu besinnen.
Unser Pionierteam hat genau diesen Ort gefunden. Es ist ein kleines Hotel mit ca. 50 Betten am Rande der Kleinstadt Przemysl in Polen, die einer der Hauptanlaufstellen der Flüchtlinge ist. Innerhalb weniger Tage konnten wir mit der Betreiberin übereinkommen, dass wir das komplette Hotel für 3 Monate reservieren. Wir versuchen jetzt die nächsten Monate beständig, mit mindestens 3-4 Kleinbussen im 24/7-Schichten Bereitschaft zu haben, um Olim an 4-5 Grenzstationen in der Gegend abzuholen und aufzunehmen, bis sie dann weiterreisen können. Dazu organisieren wir dann grössere Busse, wenn eine Gruppe zusammen ist. Oder in besonderen Fällen sind wir auch bereit, mit den Kleinbussen nach Warschau und zurückzufahren. Auch haben wir einen Stand in einem der Flüchtlingszentren. Dort sind wir für Israel zuständig und alle, welche nach Israel wollen, melden sich dort und bekommen von unserem Team Hilfe angeboten. Das sind in den letzten Tagen ca. 1 % der Flüchtlinge gewesen. Die jüdischen Ukrainer bekommen in Warschau innerhalb von 2-3 Tagen die Dokumente für ihre Aliyah (Ausreise) nach Israel.
Gemeinden, Geschwister und Geschäftsleute haben uns bereits unterstützt, indem sie uns z.B. einen gebrauchten Kleinbus zum Einkaufspreis übergaben, einen Kleintransporter mit Hilfsgütern liefern liessen oder ihren Gemeindebus für einige Wochen gratis zur Verfügung stellen. In einem Krieg hat man keine Zeit, lange zu diskutieren, es musste ja alles schnell gehen. Trotzdem: im Nachhinein betrachtet wären wir ohne Gottes Hilfe und die Einheit untereinander nicht in der Lage gewesen, so schnell so umfassend zu reagieren.
Flucht aus der Heimat – und jetzt: Wohin?
Es ist überwältigend, dass wir schon in den ersten Tagen Hunderten von Olim helfen durften. Aber ich möchte noch ein persönliches Herzensanliegen weitergeben. Ebenezer hat zehn angestellte Mitarbeiter in der Ukraine. Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen und arbeiten unermüdlich weiter in der Ukraine, ebenfalls Yanya, unsere treue Mitarbeiterin. An einem Tag hat sie über 1000 Anrufe bekommen von Juden, die ihre Hilfe wollten. Tag und Nacht sind unsere Männer jetzt mit unseren drei Kleinbussen unterwegs, holen Juden ab und bringen sie in einen sicheren Ort. Dabei besteht immer die Gefahr, dass sie an der nächsten Kontrollstelle vom Militär eingezogen oder dass die Fahrzeuge beschlagnahmt werden und sie vielleicht ihre Familien nie mehr wiedersehen können.
Wir haben den Familienangehörigen unbeschränkte Hilfe angeboten. Es ist nicht würdig für Mitarbeiter, die zum Teil mehr als zwanzig Jahre tausenden Olim halfen, sie jetzt allein stehen zu lassen. Aber wir wollen beten, dass unsere Mitarbeiter bald wieder mit ihren Angehörigen zusammen sein können. Wir wollen beten, dass sie von Gottes Frieden erfüllt werden und der Schock des Krieges sie nicht überwältigt.
Es sind zu 90 % Mütter, Kinder und einige alte Menschen. Heute kam ein gut 90-jähriger kranker Jude, der fast nicht mehr laufen kann. Er kam mit einer fremden Familie. Es sind unglaubliche Schicksale.
Ein Teammitglied liest einer jüdischen Flüchtlingsfrau in einer warmen Unter-kunft an der ungarischen Grenze die Stelle aus Jeremia 16,16 vor:
«Siehe, ich will zu vielen Fischern senden, spricht der Herr, die sollen sie fischen. Und danach will ich zu vielen Jägern senden, die sollen sie jagen von jedem Berg und von jedem Hügel und aus den Felsenklüften».
Wie lange wollen wir noch hier in Polen sein? Solange Gott es uns erlaubt. Heute meinte ein Vertreter der israelischen Regierung, der uns besuchte, sie rechnen noch mit mindestens 6 Monaten Krieg. Jeden Monat 5’000-10’000 Olim! Wir werden also einen langen Atem brauchen und wohl auf Dauer auch nicht alles mit unseren nur 10-12 Volontären leisten können.
Zahlen von jüdischen Menschen inklusive solchen mit Rückkehrrecht, noch in folgenden Ländern:
Russland (600'000), Ukraine (200'000), Belarus (33'000) und Moldawien (10'000). Sie alle haben das Recht, nach Israel auszuwandern (Aliyah).
Da werden wir noch viele Wunder Gottes erleben!
Ein grosses Dankeschön an die treuen Unterstützer von Rea Israel, die mithelfen, diese Arbeit hier möglich zu machen.
Im Namen des gesamten Ebenezer Teams, grüsst Sie
Johannes Barthel
(Ebenezer-Koordinator für Europa, Balkan und Israel)
Gaben mit Vermerk Ebenezer – für ukrainische Juden leiten wir sehr gern weiter.